Bad Berka, 16. Mai 2017 --- An der Zentralklinik Bad Berka wurde erfolgreich die 5000. Radiorezeptortherapie durchgeführt. Seit Einrichtung der nuklearmedizinischen Therapiestation im Jahre 1999 konnte mit dieser speziellen internen Radiotherapie somit über 1400 Patienten geholfen werden, die an seltenen Krebserkrankungen des hormonbildenden Drüsengewebes – sogenannten neuroendokrinen Tumoren (NET) – leiden. Der Jubiläumspatient, ein 71-jähriger Patient, wurde von einem der bekanntesten amerikanischen Krebszentren, dem Dana Faber Institut in Boston, zur weiteren Behandlung an die Zentralklinik Bad Berka überwiesen.
Ausländer sind auf den Fluren der Isotopentherapie-Station keine Seltenheit. In den vergangen 17 Jahren hat sich die Zentralklinik Bad Berka zu einem der bedeutendsten NET-Zentren in Europa und der Welt entwickelt, erklärte der Chefarzt der Klinik für Molekulare Radiotherapie, Prof. Dr. Richard P. Baum. Etwa drei Viertel der behandelten Patienten haben mit Operationen sowie Chemo-und Hormontherapien bereits die gängigen Behandlungen hinter sich gebracht. Die Hoffnung auf eine Besserung ihres Gesundheitszustandes durch eine Radiorezeptortherapie (kurz auch PRRT genannt) bedeutet für viele zugleich auch die letzte verbliebende Behandlungsmöglichkeit.
Die hohe Wirksamkeit (und sehr gute Verträglichkeit) der PRRT konnte kürzlich anhand einer Studie belegt werden, die Anfang des Jahres in der wohl angesehensten medizinischen Fachzeitschrift, dem „New England Journal of Medicine“, publiziert wurde. Gegenstand der in Europa und den USA an insgesamt 41 Zentren durchgeführten randomisierten Phase III-Studie bei 230 Patienten war die klinische Erprobung einer molekularen Radiotherapie für die Behandlung von Patienten mit Karzinoid-Tumoren des Mitteldarms. Die sogen. NETTER-1-Studie konnte zeigen, dass die Wirksamkeit und Sicherheit der PRRT mittels Lutathera der Standardtherapie (Octreotid LAR) deutlich überlegen ist und das sogenannte progressionsfreie Überleben deutlich verlängert. Bei einem Teil der Patienten kam es sogar zu einer vollständigen Rückbildung der zuvor weit fortgeschrittenen Tumorerkrankung.
Prof. Dr. Baum ist „Principal Investigator“ der NETTER-1-Studie und hat diese spezielle Form der molekularen Radiotherapie bei neuroendokrinen Tumoren (NET) schon 1997, also vor zwanzig Jahren, in Deutschland eingeführt und bereits seit 1999 an der Zentralklinik Bad Berka etabliert. Für seine Verdienste wurde er als weltweiter Vorreiter der PRRT u.a. mit dem GLORINET-Preis des Netzwerks Neuroendokrine Tumore und kürzlich mit der Henry N. Wagner Lectureship der amerikanischen Fachgesellschaft ausgezeichnet. Prof. Baum, der Mitglied zahlreicher europäischer Krebsorganisationen und Berater der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie der Europäischen Arzneimittelbehörde ist, gelang es zusammen mit seinen Kollegen, eines der weltweit größten Zentren zur Behandlung von neuroendokrinen Tumoren zu etablieren.
Jährlich werden in der Zentralklinik im Zentrum für Neuroendokrine Tumore, einem seit 2011 zertifizierten Exzellenzzentrum der "European Neuroendocrine Tumor Society" (ENETS), über 1000 betroffene Patienten aus Deutschland, Europa und zahlreichen Ländern aus der ganzen Welt diagnostiziert und behandelt. Deutschlandweit gibt es nur wenige solcher zertifizierter Zentren, die Zentralklinik Bad Berka ist das einzige Zentrum dieser Art in Thüringen.
Prof. Baum führt den Erfolg der PRRT speziell in Bad Berka auf mehrere Faktoren zurück. Zum einen verfügt die Zentralklinik mit dem Zentrum für Molekulare Bildgebung über beste Diagnosemöglichkeiten (u. a. PET/CT). Zum anderen können in der Radiopharmazie der Zentralklinik die Radiopharmaka für die Diagnose und die spezielle Behandlung maßgeschneidert für die Bedürfnisse der Patienten hergestellt werden. Auch die exzellente pflegerische Versorgung der z. T. schwerkranken Patienten auf der modernen und patientenfreundlichen 22-Betten-Therapiestation trägt wesentlich zum Erfolg bei. Nicht zuletzt erweist sich aber auch das spezielle Angebot der verschiedenen Fachdisziplinen der Zentralklinik Bad Berka als Segen für die Patienten. So können die Folgen der Krebserkrankung, die je nach Tumorart von Störungen des Verdauungstraktes, über Leber- und Lungenprobleme bis hin zu massiven Schmerzen und Schäden an den Herzklappen reichen können, von unterschiedlichen Spezialisten behandelt werden.
Hintergrund: Neuroendokrine Tumore (NET) können sich unter anderem aus den Zellen der Bauchspeicheldrüse sowie des Dünndarms, der Lunge und in anderen Organen entwickeln. Sie sind sehr selten; nur etwa fünf von 100.000 Menschen erkranken an NET. NET wachsen im Normalfall langsam und entwickeln sich über viele Jahre, wobei sie irgendwann Metastasen bilden. Allerdings existieren auch schnell wachsende Formen, die in kurzer Zeit zum Tode führen können. Die Diagnose basiert auf bildgebenden Verfahren – vor allem dem Somatostatin-Rezeptornachweis mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET/CT). Dank der Positronenstrahlung lassen sich die Primärtumor und mögliche, auch millimeterkleine Metastasen in Echtzeit im ganzen Körper sichtbar machen. Bei verdächtigen Herden wird zur Sicherung der Diagnose meist durch den Chirurgen oder endoskopisch bzw. mittels Feinnadelpunktion eine Gewebeprobe entnommen und vom Pathologen untersucht.
Da die vom Drüsengewebe gebildeten Hormone in die Regelung vieler Körperfunktionen eingreifen, kommt es bei einer Überproduktion zu vielen, zum Teil schwerwiegenden bis lebensgefährlichen Symptomen. Gängige Therapien zielen daher auf ein Ausschalten der Hormonproduktion und die Eindämmung der unkontrollierten Zellteilung ab, die zur Bildung von Metastasen führt.
An der NETTER-1-Studie nahmen Patienten teil, deren Tumor ihren Ursprung im Dünndarm (Ileum) oder im Blinddarmbereich hatte. Die Tumorzellen können Hormone freisetzen, die verschiedene Symptome verursachen – wie das „Karzinoid-Syndrom“, das unter anderem mit Durchfall, Hautrötungen, Bauchkrämpfen, Asthma, und Veränderungen der Herzklappen ein hergehen kann.
Mit Hilfe der Radiorezeptortherapie lassen sich mehrere Ziele gleichzeitig erreichen. Spezielle Peptide – kleine Eiweißstücke – werden mit Beta- und neuerdings auch mit Alphastrahlern markiert. Daher stammt auch der Fachausdruck PRRT für peptidvermittelte Radiorezeptortherapie. Wenn diese „trojanischen Pferde“ gezielt an die Tumorzielzellen andocken, schalten sie die Hormonproduktion aus. Darüber hinaus wird durch die Betastrahlung das Erbgut der Krebszellen zerstört und damit die Tumorzelle vernichtet. Durch die geringe Reichweite der Strahlung kann sichergestellt werden, dass gesundes Gewebe nicht (oder nur in sehr geringem Maße) zu Schaden kommt.
Neben neuroendokrinen Tumoren umfasst das Behandlungsspektrum der Klinik für Molekulare Radiotherapie u. a. die Radiojodtherapie von gut- und bösartigen Schilddrüsenerkrankungen, die Schmerztherapie von Knochenmetastasen und seit nunmehr vier Jahren auch die sehr erfolgreiche Radioligandentherapie von metastasierten Prostatakarzinomen.
Prof. Dr. med. Richard P. Baum | Chefarzt, Klinik für Molekulare Radiotherapie