Molekulare Diagnostik
Molekulare Diagnostik von neuroendokrinen Neoplasien – auf dem Weg zu einer individuellen molekularen Therapie?
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) sind eine seltene Tumorart, die sich durch mehrere Besonderheiten auszeichnet. Die Tumoren entstammen aus endokrinen Zellen, die sich in endokrinen Organen wie der Schilddrüse oder der Nebenniere befinden oder den verstreuten endokrinen Zellen der Bauchspeicheldrüse (pankreatische Neuroendokrine Tumore pNETs) oder des Verdauungstraktes (digestive neuroendokrine Tumore dNETs), die am häufigsten auftreten. Diese Tumore können wie ihre Ursprungszellen noch Hormone oder Botenstoffe sezernieren, allerdings ist die Ausschüttung dieser Stoffe in den Tumorzellen der pNETs oder dNETs ungeregelt und kann zu Erkrankungszuständen führen wie zum Beispiel dem Karzinoidsyndrom, das durch eine Ausschüttung von Serotonin gekennzeichnet ist und zu Hautrötungen (Flush), schnellem Herzschlag (Tachykardie), Durchfall und zu Herzerkrankungen führen kann.
Das Wachstum von Zellen ist normalerweise eng reguliert. Wachstumsfaktoren binden an Andockstellen auf der Zelloberfläche (Rezeptoren) und wirken durch eine Signalkette mehrerer Proteine bis in den Zellkern oder anderen Zielen wie der Proteinsynthese. Beim normalen Wachstum werden die Signalketten nach den Wachstums-Signalen wieder abgeschaltet, damit Zellen nicht unreguliert wachsen (Abb. 1). Es existieren viel mehr Wachstumsfaktoren als Signalketten. Dadurch können die Signalketten von vielen verschiedenen Wachstumsfaktoren aktiviert werden.
Abb. 1: Schematische Darstellung der Wachstumswege, der Wachstumsfaktoren und der Signalketten in der Körperzelle.
Warum NEN entstehen ist weitgehend unbekannt. Es wurde zwar mehrere Gene identifiziert, die zu einer familären Häufung von NETs (Multiple endokrine Neoplasie (MEN )führen können und vererbt werden können. Es handelts sich hierbei um Gene, die bei gesunden Personen eine Tumorentstehung verhindern (MEN1, menin) oder für das Wachstum von endokrinen oder neuralen Zellen eine Rolle spielen (MEN2, RET). Die Veränderung dieser Gene in der Keimbahn kann somit eine Tumorentstehung begünstigen. Allerdings liegt bei den meisten NETs keine Veränderung der Keimbahn vor. Auch Faktoren, die bei anderen Krebsarten, die häufiger und dadurch besser untersucht sind, eine Rolle bei Entstehung, Wachstum und Ausbildung von Tochtergeschwülsten (Metastasen) spielen, scheinen bei NETs nicht beteiligt zu sein. Das bedeutet, dass bei den meisten NETs die Ursache der Entstehung und des Wachstums, bezw. der Ausbildung von Metastasen nicht bekannt sind.
Die NEN können anhand von Gewebeschnitten erkannt und ihre Wachstumsfraktion (Abb. 2) kann durch eine Spezialfärbung bestimmt werden. Der Pathologe kann dadurch den NET als mehr oder weniger bösartig einordnen und damit einen Hinweis auf den Verlauf der Erkrankung geben, vor allem in Hinblick auf die Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors oder seiner Metastasen.
Abb. 2: Neuroendokriner Tumor des Verdauungstraktes, der in der Darmwand gewachsen ist. Feingewebliche Darstellung und immunhistochemische Darstellung der Wachstumsfraktion (Ki-67). Angefärbte Zellkerne stellen wachsende Zellen dar (Pfeilköpfe). Deutlich erkennbar ist die niedrigere Wachstumsfraktion im Tumor (NET) im Vergleich zu umliegenden Darmzotten (Pfeile).
Die überwiegende Anzahl von NEN gehören in die Klasse der langsam wachsenden Tumore. Da die Behandlung von Tumoren durch Chemotherapie oder äußere Bestrahlung vor allem Zellen angreift, die schnell wachsen, können die langsam wachsenden NEN durch Chemotherapie oder Bestrahlung oft unzureichend behandelt werden. Allerdings gibt es Tumorarten, die zwar langsam wachsen jedoch durch gezielte Hemmung von Wachstumssignalen gut behandelt werden können. Ein Beispiel hierfür sind die gastrointestinalen Stromatumoren (GIST), die von intestinalen Schrittmacherzellen ausgehen und wie die NEN langsam wachsen. Die GIST entstehen durch eine aktivierende Veränderung eines Rezeptors für einen Wachstumsfaktor (c-KIT). Eine gezielte Hemmung dieses Wachstumsrezeptors durch einen Wirkstoff führt zu einer deutlichen Wachstumshemmung dieser GIST. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass auch langsam wachsende Tumore gut behandelt werden sobald bekannt ist welche Wachstumswege in der Zelle aktiviert werden und sofern Hemmstoffe für diese Wachstumswege zur Verfügung stehen. Unsere Arbeitsgruppe konnte jedoch zeigen, dass der c-KIT-Rezeptor nur in Untergruppen von NEN exprimiert ist und sich daher nicht als Ziel für eine molekulare Therapie dieser Tumore eignet.
Wirkstoffe der molekularen Therapie, also definierte Wirkung auf genau bekannt Ziele in der Zelle, sind bei den NEN für zwei Wirkstoffklassen etabliert und zugelassen. Everolimus als Hemmer der mTOR Kinase und Sunitinib als Hemmer von Tyrosinkinasen, die eine bestimmte Klasse von Andockstellen für Wachstumsfaktoren darstellen. Bisher konnte jedoch nicht etabliert werden, welche Arten für NEN besonders gut auf die Wirkstoffen ansprechen.
Die molekulare Charakterisierung von NEN konnte in den letzten Jahren vor allem bei pankreatischen NEN gut dargestellt werden. Zum einen konnte gezeigt werden, dass bei NEN des Pankreas ganz andere Signalwege aktiviert werden als beim „normalen“ Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zum anderen unterscheiden sich verschiedene Arten von NEN des Pankreas durch die aktivierenden Veränderungen die Wachstum auslösen und können daher auch gut eingeschätzt werden, was Wachstum und Bildung von Tochtergeschwülsten angeht. Eine der häufig aufgefundenen Veränderungen liegt im multiple endokrine Neoplasie Syndrom Typ 1 Gen, dem Menin. Für viele dieser Veränderungen werden zur Zeit hemmende Wirkstoffe entwickelt und es bleibt zu hoffen, dass diese bald in klinischen Studien überprüft werden können. NEN des Dünndarms haben nur wenig bekannte aktivierende Veränderungen in Wachstumswegen, über die immer noch sehr wenig bekannt ist.
Eine andere Möglichkeit Veränderungen in den Tumorzellen aufzuspüren bietet eine komplette Untersuchung aller Gene in der Zelle. Dies wird zur Zeit an den Universitäten in Heidelberg und Dresden angeboten. Bei schwierig zu behandelnden Fällen können damit manchmal seltene Veränderungen erkannt werden, die mit Wirkstoffen behandelt werden können, die normalerweise nicht bei NEN eingesetzt werden.
Abb. 3: Neuroendokriner Tumor (Midgut), der eine starke Expression eines intrazelluläres Wachstumsproteins aufweist Immunhistochische Darstellung der nicht aktivierten Form des Wachstumproteins, die Tumorzellen sind homogen braun gefärbt, was auf eine starke Expression der MAPK in allen Tumorzellen hinweist. Zwischen den Tumorzellverbänden liegt Bindegewebe, das weniger MAPK aufweist. Auch normale Körperzellen zeigen eine Expression der MAPK, z. B. Zellen, die ein Blutgefäß (Stern) auskleiden (Endothelzellen, mit einem Pfeilkopf markiert).
Abb. 4: Neuroendokriner Tumor (Midgut), der eine starke Expression eines aktivierten Wachstumsproteins aufweist. Ein solcher Tumor würde vorzugsweise mit einem Inhibitor für dieses Protein (z. B. CL1040 oder ein ähnlicher Wirkstoff) behandelt werden können. Die Expression des aktivierten Wachstumsfaktors in nicht in allen Zellen ähnlich stark ausgeprägt.
Wir hoffen, dass wir Ihnen durch diesen Beitrag einen kleinen Ausblick über zukünftige Diagnose und Therapieverfahren gegeben haben und dass die erstaunlichen Fortschritte der Krebstherapie bei den häufigen Tumorarten wie Dickdarm- oder Brustkrebs sich einen Tages auch bei Patienten mit NEN realisieren lassen. Um solche Fortschritte zu verwirklichen, möchten wir sie ermutigen an den dafür notwendigen Studien, wie sie jetzt an den großen Zentren durchgeführt werden, zu beteiligen.
Abb. 5: Schematische Darstellung der untersuchten Signalwege und eine Auswahl der zur Zeit in Prüfungen befindlichen molekular definierten Wirkstoffe.