Neuroendokrine Neoplasien der Lunge
Als Lungentumore sind die neuroendokrinen Neoplasien (NEN) der Lunge oder bronchiale Karzinoide zwar selten, die Lunge ist jedoch die zweithäufigste Ursprung der NEN nach dem Verdauungstrakt. Die NEN der Lunge treten in bis zu 15 % der Fälle im Rahmen von Keimbahnmutationen auf. Sie können jedoch auch ohne bekannte Keimbahnmutation familiär gehäuft auftreten.
NEN der Lunge machen etwa 1 – 2 % aller Lungentumoren im Erwachsenenalter aus. Bei Kindern zählen sie zu den häufigsten bösartigen Lungenerkrankungen. Sie präsentieren sich typischerweise erst im späten Jugendalter. In den meisten Untersuchungsserien sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Die ansteigende Häufigkeit in den letzten Jahrzehnten ist weniger auf eine Zunahme der Häufigkeit zurückzuführen als auf die bessere bildgebende Diagnostik und feingewebliche Beurteilung. Das Durchschnittsalter, in dem die Diagnose bei NEN gestellt wird, liegt bei 45 Jahren.
Die NEN Tumoren können sich biologisch unterschiedlich verhalten. Die gutartigen NEN der Lunge werden als Karzinoide bezeichnet und werden in typische und atypische Karzinoide unterteilt. Ein eher gutartiges Verhalten zeigen die typischen Karzinoide während die atypischen Karzinoide schneller wachsen und häufiger Tochtergeschwülse bilden. Das großzellige neuroendokrine Karzinom gleicht biologisch dem kleinzelligen Bronchialkarzinom (SLCL) mit hochaggressivem Verhalten, schnellem Wachstum und früher Bildung von Tochtergeschwülsten.
WHO-Klassifikation
WHO-Klassifikation
Neuroendokrine Tumoren der Lunge werden nach der WHO Klassifikation von 2004 hinsichtlich ihres biologischen Verhalten klassifiziert (Tab. 2).
Tumortyp | Kriterien |
---|---|
Typische Karzinoidtumoren | Karzinoidmorphologie und < 2 Mitosen/2 mm2 (10 HPFs), keine Nekrose und >0,5cm |
Atypische Karzinoidtumoren | Karzinoidmorphologie mit 2 – 10 Mitosen/2 mm2 (10 HPFs) oder Nekrose (oft punktuell angeordnet) |
Großzellige neuroendokrine Karzinome | Neuroendokrine Morphologie (organoide Strukturen mit trabekulären, rosettenförmigen oder palisadenartigen Strukturen) |
Hohe Mitoserate >10/2 mm2 (10HPFs), im Median 70/2 mm2 | |
Nekrose (oft große Regionen) | |
Zytologische Eigenschaften von NSCLC: große Zellen, kleines Verhältnis von Zellkern zum Zytoplasma, einige Tumoren weisen feines nukleäres Chromatin und fehlende Kukleoli auf, zählen jedoch aufgrund ihrer Zellgröße und ihres reichlichen Zytoplasmas zu den NSCLC. | |
Positive immunhistochemische Markierung für ein oder mehrere NE-Marker (andere als NSE) und/oder neuroendokrine Granulae im Elektronenemissionsmikroskop. | |
Kleinzellige neuroendokrine Karzinome | Kleine Zellen (normalerweise kleiner als 3 Lymphozyten) |
matte Nukleoli | |
Hohe Mitoserate: > 11 Mitosen/2 mm2 (10HPFs), im Median 80/2 m2 (10HPFs) | |
Öfter Nekrosen, sehr häufig große Zonen |
Tabelle 2: 2004 WHO Kriterien für die Diagnose der neuroendokrinen Tumoren; HPF: high-power field; NSCLC: non-small cell lung carcinoma; NE: Neuroendokrine
TNM-Klassifikation
TNM-Klassifikation
Das Staging, d. h. die genaue Ausbreitungsdiagnostik der neuroendokrinen Tumore der Lungen, ist denen von Lungentumoren gleichgestellt. Typische Karzinoide werden meistens in eine frühen Stadium erkannt, währenddessen die atypischen Karzinoide sich bei der Diagnose oft in einem späteren Stadium befinden.
Klinische Merkmale
Die Mehrzahl der Tumoren (80 %) entsteht in den Atemwegen. Die Beschwerden sind meistens durch die Stenosierung der Atemwege infolge der Tumormasse bedingt. Patienten leiden demzufolge unter Husten, Giemen, Luftnot oder wiederkehrenden Infektionen durch Lungenentzündungen im gleichen Lungensegment oder Lungenlappen. Zudem können aufgrund der typischen verstärkten Durchblutung der Tumoren Blutungen mit Bluthusten entstehen. Gelegentlich treten Brustschmerzen auf. Die Diagnose wird meist sehr spät gestellt. Häufig werden Patienten längere Zeit symptomatisch therapiert oder bei rezidivierenden Infekten mit verschiedenen Antibiotika. Im Gegensatz hierzu sind die Patienten mit peripheren Lungenkarzinoiden (20 %) asymptomatisch. Diese Tumoren werden häufig als Zufallsbefund bei Röntgen-Thoraxaufnahmen gefunden. Auch bei den neuroendokrinen Lungentumore können funktionelle Syndrome auftreten.
Diagnostik
Diagnostik
1. Labor
Als Tumormarker können Chromogranin A und Neuronenspezifische Enolase verwendet werden.
2. Röntgendiagnostik
75 % der Patienten mit einem bronchialen Karzinoid haben ein suspektes Rö-Thorax. Die meisten Raumforderungen sind rund bis oval, 2 – 5 cm im Durchschnitt und hilär bzw. perihilär gelegen. Eine Kavernenbildung ist selten.
Die meisten NEN stellen sich im CT dar.
3. Bronchoskopie, Endosonographie und Biopsie
Ungefähr ¾ der bronchialen Karzinoide können durch eine Spiegelung der Atemwege erkannt werden. Zudem kann auf diese Weise eine Probe feingeweblich untersucht werden. Allerdings kann es dadurch zu starken Blutungen kommen.
4. Octreotidszintigraphie
NEN weisen zu 40 % – 80 % Somatostatinrezeptoren auf, die radioaktiv markierte Somatostatinanaloga (111Indium markiertes Octreo- oder Pentatreotid) binden und mittels Gamma-Kamera dargestellt werden können. Die Indium-Octreotidszintigraphie ist für den Nachweis von Tumoren < 1,5 cm geeignet.
5. Somatostatinrezeptor-PET
Die Somatostatinrezeptor 68Gallium-DOTATOC oder DOTA-NOC Positronen-Emissionstomographie (PET) ist zurzeit aufgrund der sehr hohen Empfindlichkeit und des extrem hohen Tumorkontrasts das sensitivste bildgebende Verfahren zum Nachweis neuroendokriner Tumoren. Die Untersuchungszeit beträgt maximal 3h, während die Octreotidszintigraphie sich über 2 Tage erstreckt. Mit der 68Gallium–DOTANOC Rezeptor PET ist die Detektion von Tumoren < 1 cm möglich. Ein weiterer Vorteil ist die erheblich geringere Strahlenexposition.
Chirurgische Therapie
Chirurgische Therapie
Eine chirurgische Resektion des Tumors ist die Therapie der Wahl soweit der Gesamtzustand des Patienten diese zulässt. Ziel ist die Blockresektion mit vollständiger Entfernung des neuroendokrinen Tumors unter Erhaltung von möglichst viel funktionellem Lungengewebe.
Chemotherapie
Chemotherapie
Patienten mit metastasierenden NEN der Lunge reagieren in der Regel nicht auf eine Chemotherapie wie sie beim SCLC angewendet werden. Im Gegensatz können sie gut auf eine Chemotherapie mit Temozolomid ansprechen.
Biotherapie
Biotherapie
NEN der Lunge exprimieren Somatostatin-Rezeptoren, vor allem die typischen Karzinoide, oft auch die atypischen Karzinoide. Ähnlich wie bei GEP-NEN werden die Somatostatin-Rezeptoren positiven NEN der Lunge mit Somatostatin-Analoga behandelt. Hierzu lagen jedoch keine Daten vor. Die SPINET Studie versuchte zu überprüfen, ob auch bei Lungen NEN die Gabe von Lanreatid-Autogel 120 mg alle 4 Wochen tief s.c. als Somatostatin-Analoga das Wachstum von gut differenzierten NEN der Lunge verhindert. Leider musste die Studie abgebrochen werden, weil nicht genug Patienten rekrutiert werden konnten. Eine Auswertung der Studie konnte 2021 veröffentlicht werden (Hörsch et al. ESMO, 2021). Hier zeigte sich eine deutliche Verlängerung der Zeit ohne Tumorwachstum (Progression-freies Überleben) unter Lanreotid, die allerdings nicht statistisch signifikant waren. Letztlich sind Somatostatin-Analoga immer die erste Wohl bei gut differenzierten NEN der Lunge, auch wegen des sehr günstigen Nebenwirkungsprofils.
Radiorezeptortherapie
Radiorezeptortherapie
Im Falle eines nicht-operablen, metastasierten Somatostatinrezeptor-positiven neuroendokrinen Tumors der Lunge führt eine Peptidrezeptor-vermittelte Radiotherapie mit an Octreotate gekoppeltem 177 Lutetium (DOTATOC oder DOTATATE) bei mehr als der Hälfte der Patienten zu einem Ansprechen und einer Symptombesserung .
Molekulare Therapie
Molekulare Therapie
Everolimus als mTOR Inhibitor wurde in der RADIANT-4 bei Lungen NEN geprüft. Hier zeigte sich eine deutliche Verlängerung der Zeit ohne Tumorwachstum (Progression-freies Überleben) gegenüber Placebo, die signifikant war. Aufgrund dieser Daten wurde Everolimus in der Dosierung von 10 mg/die zur Therapie der gut differenzierten Lungen NEN zugelassen und stellt damit die einzige Therapie dar, die bei Lungen-NEN zugelassen wurde.
Prognose
Prognose
Typische bronchiale Karzinoide haben eine gute Prognose, nur 1 – 2 % der Karzinoide rezidivieren. Die 5-Jahresüberlebensrate liegt zwischen 75 und 100 %.
Eine unvollständige Resektion ist mit einer signifikant schlechteren Prognose assoziiert. Atypische Karzinoide haben eine große Tendenz zu metastasieren. Die 5-Jahresüberlebensrate variiert zwischen 30 und 65 %. Die Prognose verschlechtert sich bei positivem nodalen Stadus bei den atypischen Karzinoiden nicht jedoch bei den typischen Karzinoiden.
Lungenkarzinoide
Lungenkarzinoide
- 1 – 2 % alle Lungentumoren
- 25 % aller Karzinoide
- 80 – 90 % typische Karzinoide
- 10 – 20 % atypische Karzinoide
- 70 – 80 % proximal, 20 – 30 % peripher
- 61 % liegen rechtsseitig, v. a. im Mittellappen